In ihrem Roman Der Mann, der alles sah erzählt Deborah Levy von einem exzentrischen jungen Engländer namens Saul Adler, der sich als Historiker für das politische System der DDR interessiert.
Es ist das Jahr 1988 und Saul Adler plant einen Besuch in Ost-Berlin. Kurz vor seiner Abreise will er ein Foto von sich auf dem Zebrastreifen der Abby Road machen, um es der Schwester seines Dolmetschers in Berlin mitzubringen. Er weiß, dass sie den großen Wunsch hat, einmal nach Liverpool zu reisen, um die Penny Lane zu sehen. Mit dem Foto will er auf die Beatles anspielen, die auf dem berühmten Plattencover den legendären Zebrastreifen überqueren. Ihr Song Penny Lane ist wohl der bekannteste Song auf der Platte Abby Road.
Doch es geschehen zwei Dinge, die Saul Adler aus dem Konzept bringen: Er wird auf der Abby Road von einem Auto angefahren und seine Freundin, die angehende Künstlerin Jennifer Moreau, trennt sich von ihm, kurz bevor er nach Berlin fährt. Doch das Foto macht sie noch. Allerdings nicht ganz uneigennützig, denn Saul ist ihre Muse. Jennifer hat zahlreiche Fotos von ihm, da er eher wie ein Rockstar aussieht, nicht wie ein Historiker.
Mit gebrochenem Herzen und körperlich leicht verletzt kommt Saul Adler in Berlin an und trifft auf Walter, seinen Dolmetscher. Von ihm fühlt er sich auf unwiderstehliche Weise angezogen und beginnt eine Affäre mit ihm. Walters Schwester wittert durch die Verbindung zu Saul Adler eine Möglichkeit, ihrem Wunschziel Liverpool näher zu kommen. Dreißig Jahre später will Saul Adler noch einmal die Abby Road überqueren und als würde sich ein Kreis schließen, wiederholt sich der Unfall; doch diesmal mit dramatischeren Folgen.
Deborah Levy erzählt in ihrem Roman eine tiefgründige und außergewöhnliche Geschichte. Weil die Betrachtung der Menschen eine entscheidende Rolle im Buch spielt, stellt Deborah Levy ihrem Roman ein Zitat über die Fotografie voran, das von der amerikanischen Essayistin Susan Sontag stammt: »Menschen fotografieren heißt ihnen Gewalt antun, indem man sie so sieht, wie sie sich selbst niemals sehen, indem man etwas von ihnen erfährt, was sie selbst nie erfahren; es verwandelt Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann.«
Deborah Levy: Der Mann, der alles sah. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. Kampa Verlag, 2020, ISBN-13: 9783311100287, 23 Euro