
Juli Zeh hat mit ihrem spannenden Roman Neujahr eine Milieustudie der Mittelschicht geschaffen und führt uns in die Welt eines überforderten Familienvaters
Die 1974 in Bonn geborene Schriftstellerin Juli Zeh ist eine Autorin, die zurzeit in vielerlei Hinsicht Beachtung findet. Ihre Romane werden hoch gelobt und vom Feuilleton begeistert aufgenommen. Ihr Werk findet den Weg auf Theaterbühnen, sie wird zu Talkshows und Interviews eingeladen und ihr politischer Einsatz für die Demokratie hat ihr zuletzt sogar das Bundesverdienstkreuz eingebracht. Die sympathische Autorin und studierte Juristin findet in der Öffentlichkeit großen Anklang für ihr Engagement, da sie sich offensiv für bürgerliche Rechte einsetzt. Eines ihrer wichtigsten Themen ist dabei die Freiheit des Einzelnen in Zeiten der digitalen Vernetzung.
In ihren Büchern stehen oft Menschen mit sehr individuellen Problemen im Mittelpunkt. In ihrem gerade erschienenen Roman Neujahr ist es der Familienvater Henning, dem gerade alles über den Kopf wächst. Henning ist ein typischer Vertreter der bürgerlichen Mitte und gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Job, Kindererziehung, Haushalt – alles teilt sich Henning mit seiner Frau und sie leben ein modernes Familienmodell. Warum er plötzlich Panikattacken bekommt, weiß Henning selbst nicht und niemand nimmt seine Ängste ernst – auch nicht seine Frau.
Henning hofft, im Urlaub etwas mehr Klarheit über seine Situation zu bekommen und sich ein wenig vom Alltagsstress zu erholen. Der Urlaub zum Jahreswechsel soll etwas ganz Besonderes werden und Henning will das neue Jahr mit guten Vorsätzen beginnen. Doch es kommt alles ganz anders, denn es passiert etwas, womit er nicht rechnen konnte: Er entdeckt bei einem seiner Ausflüge auf Lanzarote, den er diesmal ohne seine Familie macht, ein Haus, das ihn an eine bestimmte Zeit seiner Kindheit erinnert und ihm fällt plötzlich ein, dass er als Kind mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester schon einmal hier gewesen ist. Unglaublich, dass er sich all die Jahre nicht an diesen Urlaub erinnern konnte und traumatische Erlebnisse aus dieser Zeit hat er offensichtlich verdrängt. Plötzlich befindet Henning sich in einem psychischen Ausnahmezustand, denn die Erinnerungen kommen mit aller Macht zurück. Sind es Angstzustände oder erste Anzeichen einer Psychose? Sicher kann man bei der Beschreibung seines psychischen Befindens nicht sein. Fest steht, dass Julie Zeh seinen Zustand anschaulich und nachvollziehbar beschreibt und sie dabei einen Spannungsbogen schafft, der an ihren fast kriminalistischen Roman Nullzeit erinnert. Er weiß jetzt, was er erlebt hat und beginnt zu begreifen, dass man die Familie, in der man aufgewachsen ist, ein Leben lang mit sich herumträgt.
Wieder einmal verbindet Juli Zeh die Geschichte über ein ganz persönliches Erleben mit gesellschaftlichen Themen unserer Zeit und ihrer Generation. Sie spürt die Schwächen der Menschen auf und mit unverstelltem Blick erzählt sie davon, warum jemand zu dem wurde, was er ist. Doch sie geht dabei nicht hobbypsychologisch an diese Themen heran, sondern erzählt spannend und mit positivem Blick in die Zukunft. Kein Wunder, dass alle Juli Zeh sehen, hören und lesen wollen!
Juli Zeh: Neujahr, Luchterhand Verlag 2018, 192 Seiten, ISBN-13: 9783630875729