Mariana Leky sorgt mit ihrem liebevoll erzählten Roman Was man von hier aus sehen kann für den Überraschungserfolg dieses Herbstes
Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Als sich Selma eines Morgens bemüht, betont locker und gut gelaunt zu sein und so auf ihre Enkelin Luise trifft, merkt diese sofort, dass etwas faul ist. Natürlich kann Selma ihren wiederholten Okapi-Traum nicht lange für sich behalten und schnell ist das ganze Dorf in heller Aufregung über diese unheilvolle Neuigkeit.
Dabei würde fast niemand offen zugeben abergläubisch zu sein. Doch man kann ja nie wissen, ob Selmas Traum nicht doch etwas zu bedeuten hat. Es kann jedenfalls nicht schaden, die wichtigen Dinge des Lebens noch in Ordnung zu bringen, bevor es zu spät ist. In den nächsten vierundzwanzig Stunden befindet sich das Dorf im Ausnahmezustand und wir sind nach wenigen Seiten des Romans mitten in der Geschichte über Luise, Selma und ein Dorf im Westerwald. Aus Luises Sicht wird vor allem Selma beschrieben, die ihr Lebensmittelpunkt ist, während Luises Eltern meist mit anderen Dingen beschäftigt sind.
Nicht nur Selma ist eine außergewöhnliche Frau mit vielen Besonderheiten, auch viele Dorfbewohner werden mit ihren Eigentümlichkeiten beschrieben. Dabei sind alle auf ihre Art ein wenig verrückt, akzeptieren sich aber gegenseitig mit all ihren Macken. Die Dorfgemeinschaft hält zusammen und Luise wächst in dieser geborgenen Umgebung auf.
Selma sieht genauso aus wie Rudi Carrell (die Älteren werden sich erinnern) und hat eine Vorliebe für Mon Cheri Pralinen, aber nur für die Kirsche und den flüssigen Inhalt, die Schokoladenumhüllung darf Luise naschen. Der Optiker ist schon lange in Selma verliebt und das wissen natürlich alle, nur Selma nicht. Er beginnt immer wieder Briefe zu schreiben, die er nie beendet und nie abschickt. Eine innere Stimme macht ihm sein Leben schwer und hält ihn im letzten Moment stets zurück, seine Liebe endlich zu gestehen. Luises Vater ist, seit er eine Psychoanalyse macht, meistens auf Reisen und taucht zwischendurch immer wieder in der Heimat im Westerwald auf, um seinen ständigen Rat zu erteilen: „Ihr müsst dringend mal ein bisschen mehr Welt hineinlassen“.
Diese und viele ungewöhnliche Typen mehr – der Eisdielenbesitzer, der Einzelhändler, die abergläubische Elsbeth, der Buchhändler – beschreibt die in Köln geborene Mariana Leky in ihrem wunderbaren und wundersamen Roman, von dem man sich wünscht, dass er nie aufhört; so sehr wachsen der Leserin die Menschen nach wenigen Seiten ans Herz. Selten wurden die Figuren in einem Roman so liebevoll beschrieben wie hier.
Was man von hier aus sehen kann ist vielleicht der ungewöhnlichste Roman dieses Herbstes. Voller Weisheiten ohne belehrend zu sein, möchte man viele der wunderbaren Sätze, die hier zu finden sind auf einen Zettel schreiben und an die Wand hängen. Es bleibt im Leben nicht aus, dass etwas Trauriges passiert, doch die schönen Dinge passieren gleich danach und das zu vermischen, ohne dass es kitschig wird, ist die große Kunst der Autorin. Es ist ein Buch für Kopf, Herz und Bauch und hat alles, was ein Lieblingsbuch braucht. Völlig zu Recht ist es zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels 2017“ gewählt worden.
Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann, DuMont Verlag, 314 Seiten, ISBN-13: 9783832198398