Georg Elterlein hat mit Sprache der Krähen einen spannenden Roman geschrieben, der sich irgendwo zwischen Thriller und Familiendrama bewegt
Die Welt in Gut und Böse einzuteilen ist einfach, doch ein Blick hinter die Fassade lässt Dinge, die auf den ersten Blick klar erscheinen, oftmals fragwürdig werden. So ist es in Georg Elterleins Roman Sprache der Krähen der Protagonist Leonard, der unsere Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit in Frage stellt, denn schon bald bringt man dem „Bösen“ in dieser Geschichte große Sympathien entgegen.
Leonard ist ein Killer wie aus einem James Bond Film. Mit allen Wassern gewaschen hat er im Laufe seines Lebens viel Erfahrung gesammelt, wenn es darum geht einen Auftrag zu erfüllen. Er gilt als zuverlässig und wenn es sein muss schreckt er auch vor Mord nicht zurück. Dass Leonard alleine lebt und es keinen Platz für emotionale Bindungen gibt, ist bei seinem Lebenswandel nicht anders zu erwarten. Der Einzelgänger lebt zurückgezogen und betreibt eine kleine Werkstatt, um den Schein des Harmlosen zu wahren. Er braucht auch niemanden und ein Mensch in seiner Nähe wäre nur hinderlich, denn seine wahre Identität muss geheim bleiben. Die Aufträge werden ihm dabei über eine „Freundin“ zugespielt und niemand ahnt etwas von seinem Doppelleben.
Leonards kriminelle Laufbahn hat früh begonnen. Schon als Junge liebte er den Kitzel, irgendwo einzubrechen ohne erwischt zu werden. Nach dem frühen Tod der Eltern wurde er in einem Kinderheim untergebracht. Dort lernte er früh, was es heißt jemandem schutzlos ausgeliefert zu sein und musste Gewalt, Missbrauch und Ungerechtigkeit ertragen. Und je mehr man über seine traurige Vergangenheit erfährt, desto besser versteht man, wie er zu dem Menschen wurde, der er heute ist.
Sein jüngerer Bruder hatte mehr Glück. Er kam nach dem frühen Tod der Eltern zu einer Pflegefamilie und auch wenn die Brüder eine tiefe Verbundenheit zueinander fühlten, hat der Jüngere den Kontakt irgendwann abgebrochen, um nicht in Leonards schmutzige Geschäfte hineingezogen zu werden. Der Bruch mit dem Bruder war schmerzhaft, doch Leonard akzeptierte ihn.
Seitdem sind viele Jahre vergangen und das erste, was er nach langer Zeit von seinem Bruder hört, ist, dass er auf der Fahrt zum Flughafen zusammen mit seiner Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Lediglich der zehnjährige Sohn Erik überlebt. Dabei wusste Leonard weder, dass sein Bruder verheiratet war, noch, dass es einen Sohn gibt. Die Geschichte des Waisen scheint sich hier auf zynische Weise zu wiederholen.
Da Leonard der einzige Verwandte ist, wird geprüft, ob er sich als Vormund eignet. Doch ein Kind passt natürlich nicht in sein Leben und schon gar nicht ein zarter, schüchterner, zehnjähriger Junge, der infolge des Unfallschocks nicht spricht. Sein erster Impuls ist es deshalb, alles von sich zu weisen. Doch so einfach ist das nicht, denn der Junge fühlt sich zu seinem Onkel hingezogen und vertraut ihm. Auch Leonard fühlt sich auf unbestimmte Weise dem Jungen verbunden und hier beginnt die Geschichte zwischen zwei Menschen, die gegensätzlicher nicht sein könnten.
Der Roman zeigt zum einen die brutale Seite eines Menschen, doch zum andern kommen in Gegenwart des schutzbedürftigen Kindes auch die guten Eigenschaften Leonards zum Vorschein und er weiß, dass der Junge in seiner Gegenwart in großer Gefahr ist, denn sein aktueller Auftrag ist gefährlicher als gewöhnlich.
Zu allem Überfluss löst die Begegnung mit einer Frau aus der Vergangenheit in Leonard ungeahnte Gefühlsregungen aus, die er schon vergessen glaubte. Tina, so ihr Name, hatte den Kontakt zu dem verstorbenen Bruder gehalten und taucht nun über den Jungen Erik wieder in Leonards Leben auf. Die Möglichkeit zu einem anderen Leben blitzt auf. Wird jetzt doch noch alles gut…?
Der Titel des Romans hat dabei einen direkten Bezug zur erzählten Geschichte, denn Erik liebt Krähen und weiß viel über diese Vögel. Zum Beispiel, dass Krähen zwei Sprachen haben: Eine Sprache mit der sich alle Krähen verständigen können und eine Sprache, die nur die Krähen der eigenen Familie verstehen und mit der sie untereinander kommunizieren.
Mit Sprache der Krähen ist dem 1961 in Wien geborenen Autor ein großartiger Roman gelungen, der für einen Thriller zu untypisch und für eine Familiengeschichte zu spannend ist und gerade deshalb beeindruckt.